Adrienne Goehler
Nachhaltigkeit braucht Entschleunigung braucht Grundein/auskommen ermöglicht Entschleunigung ermöglicht Nachhaltigkeit
Könnte ein Bedingungsloses Grundein/auskommen die Freiheit und Chancengleichheit eines jede(n) Einzelne(n) fördern und auf diese Weise die maßlose Beschleunigung unserer Zeit eindämmen und so dazu beitragen die begrenzten Ressourcen unserer Umwelt zu schonen?
Adrienne Goehler ist dieser und anderen brennenden Fragen unserer Gesellschaft zwei Jahre lang am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam (IASS) nachgegangen. In diesem Buch, das die Ergebnisse ihrer Untersuchungen präsentiert, unternimmt sie mit ihren Gesprächspartner*innen eine Art Gedankenreise von der Forschung über die Politik bis hin zur Kunst, indem sie Menschen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Winkeln in Essays, Interviews, Geschichten, Schaubildern und künstlerischen Interventionen zum Beziehungs-dreieck Nachhaltigkeit – Entschleunigung – Bedingungsloses Grundein/auskommen zu Wort kommen lässt. Einsichten aus der Welt der Finanzwirtschaft stehen neben Vorschlägen aus der Agrar- und Entwicklungspolitik und Direktiven der Klimawissenschaft und Ökologie. Künstlerische Initiativen widmen sich neben bereits erprobten Pilotprojekten den großen Fragen der Gegenwart: Was benötigen wir zu einem guten Leben und ist davon genügend für alle Erdenbewohner*innen vorhanden? Wie werden wir in Zukunft arbeiten und welchen Stellenwert wird hierbei die Erwerbsarbeit einnehmen? Wird es zu mehr Geschlechter-gerechtigkeit führen, wenn wir lernen, heute oft unbezahlte oder nur schlecht vergütete soziale Arbeit als gleichwertig mit anderer Arbeit wahrzunehmen? Wie finde ich eine sinnstiftende, lebensantreibende Aufgabe? Und last but not least: Kann mit der Einführung eines Bedingungslosen Grundein/auskommens, im Sinne eines universellen Menschenrechts, ein Paradigmenwechsel eingeleitet werden, der uns den 17 Zielen für eine nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen näher bringt? Das Buch öffnet den Blick für die Möglichkeiten und Widersprüche unseres aktuellen Handelns. Innerhalb der Grundeinkommensbewegung kann es zugleich als ein Querschnitt der gegenwärtigen Diskussion betrachtet werden, da es alle wesentlichen Aspekte der Debatte durch vernetztes Denken und Handeln miteinander verschmelzen lässt. Vor allem aber ist es ein leidenschaftlicher Weckruf: Wir müssen mit erstarrten Denk- und Handlungsmustern zu brechen, um unserer Zukunft mehr Wissensdrang und Bewegungsfreiheit zu schenken!
mit Beiträgen von
Elke Schmitter, Christian Lahr, Caroline Teti, Christine von Weizsäcker, Allora & Calzadilla, Thomas Jorberg, Felix Kostrzewa, Schwester Josefa Thusbaß, Grace Kageni Mbungu, Martin Röthel, Rebecca Panian, Erich Fromm, Sarath Dervala, Dominik Renner, Charles Bukowski, Johann Lorbeer, Peter Thoma, Jacques Attali, Hermann Lotze-Campen, Barbara Adam, Hartmut Rosa, Maheba Goedeke Tort, Teresa Erbach, Nadja Borowic, Barbara Göger, Thiago Pinto Barbosa, Ingrid Egger, Wolfgang Strengmann-Kuhn, Sabine Soeder, Marie-Louise Zeller, Maria Reinisch, Daniela Setton, Jochen Siebel, Amelie Deuflhard, Uwe Schneidewind, Cornelia Hinterschuster, Svenja Paulsen, Martina Bergmann, Christoph Becker, Stephanie Bothor, Martin Clausen, Margrit Kennedy, Anna-Sophie Brüning, Johannes Stüttgen, Andrea Baier, Adelheid Biesecker, Daniela Gottschlich, Andreas Rost, Christian Felber, Silke Helfrich, Karolina Iwa, Patricia Nanz, Lukas Kübler, Barbara Adam und John Schellnhuber
Leseprobe
Klagen über Beschleunigung waren schon mit der Industrialisierung verbunden, aber in ihrem heutigen Ausmaß, ihrer Zuspitzung und Radikalisierung, betrifft sie eben nicht mehr nur die Arbeitsverhältnisse, sondern das ganze Leben. Die Beschleunigung hat sich totalisiert. Der Philosoph Byung-Chul Han, Autor des Buches »Müdigkeitsgesellschaft«, beschreibt die wichtigste Veränderung vom Kapitalismus zu Marx’ Zeiten, als sich Fabrikbesitzer und Arbeiter klar definiert im Ausbeutungsverhältnis gegenüberstanden, zu heutigen Selbstausbeutungs- verhältnissen, in denen Menschen Unternehmer*innen ihrer selbst geworden seien, gefangen in der Illusion der Selbstverwirklichung. So forme der Neoliberalismus aus dem unterdrückten Arbeiter einen freien Unternehmer, der unablässig an seiner Selbstoptimierung arbeite. Wir sparen ständig Zeit durch schnellere Fortbewegungsmittel, Fast Food, schnellere Informationsmedien und -tools und packen deshalb immer mehr in den Tag hinein. Hartmut Rosa nennt es, »Mengensteigerung pro Zeiteinheit«. Wir glauben, 24/ 7 erreichbar sein zu müssen, so als wären wir alle in ständiger Rufbereitschaft. Die Gegenwart mit ihren Zumutungen lässt uns hecheln, unsere Phantasie liegt unter Erschöpfungszuständen und multiplen Ängsten brach. Wir befinden uns in einem Hamsterrad, dessen Geschwindigkeit wir nicht bestimmen können und von dem viele glauben, es nicht verlassen zu können. Der signifikant hohe Anstieg von Depression und Burnout sind Symptome dieses Zuviel, das zugleich ein Zuwenig ist. Die Zeitforscherin Barbara Adam konstatiert deshalb: »Wir brauchen nicht nur einen ökologischen ›Footprint‹, sondern auch einen ›Timeprint‹.« Mit Sehnsucht erinnere ich mich an »Momo«, die Romanfigur von Michael Ende. Wer die Zeit der Menschen besitzt, so erkannte Momo, hat unbegrenzt Macht. Sie brachte den Menschen die von grauen »Zeit-Dieben« gestohlene Zeit zurück, als sie bemerkte, dass die Menschen beim Zeitsparen vergessen hatten, im Jetzt zu leben und das Schöne im Leben zu genießen. Und ich denke an John Franklin, den Polarforscher, dem Stan Nadolny in seinem Roman »Die Entdeckung der Langsamkeit« ein Denkmal setzte, weil dessen Wahrnehmung sich allem Schnellen, Oberflächlichen verweigerte und die Langsamkeit in Ruhe umwandelte. Die Zeit und das Gefühl der permanenten Beschleunigung, die Atemlosigkeit, ist das Thema vieler Interviews. Mit dem Gedanken der Entschleunigung als einer weiteren Voraussetzung für die Chance, ein nachhaltiges Leben führen zu können, fühle ich mich auch Hartmut Rosa verbunden, der sich den Prozess der großen Transformation nur in Verbindung mit einem anderen Umgang mit Zeit als gelingend vorstellt. Und mit einem Grundeinkommen.
Zu den skizzierten immensen Herausforderungen gesellt sich noch eine weitere Herkulesaufgabe: Die umfassende Neubestimmung von Leben und Arbeit durch die fortschreitende Digitalisierung, mit der sich Erwerbsarbeit qualitativ und quantitativ auf vielfältige und teilweise sehr grundlegende Art und Weise verändern wird. In Verbindung mit der zunehmenden Bedeutung des Dienstleistungssektors zeichnet sich eine Arbeitsgesellschaft ab, in der ein wachsender Teil der Bevölkerung keine durchgängigen, geschweige denn lebenslangen Erwerbsarbeitsplätze hat, sondern selbstständig oder projektbasiert arbeitet, was häufig mit einer schlechteren Bezahlung und größerer Unsicherheit einhergeht. Mit Beginn des digitalen Zeitalters im Jahr 2002 konnten die Menschen erstmals mehr Informationen digital speichern als analog. Weitere zehn Jahre später kam der Begriff ›Arbeit 4.0‹ in Umlauf, der die vierte industrielle Revolution bezeichnet.
Seither gibt es eine große Zahl an Studien, die sich mit Auswirkungen auf das bisherige Arbeitsleben beschäftigen. Viele davon gehen von einem erheblichen Wegfall klassischer Erwerbsarbeitsplätze aus, die künftig von Maschinen erledigt werden, und prognostizieren radikale Veränderungen. Eine häufig zitierte – inzwischen auch vielfach kritisierte – Studie der Wissenschaftler Osborne und Frey von der Oxford University nimmt an, dass für 47 Prozent der Erwerbsarbeitsplätze in den USA ein hohes Risiko besteht, in den kommenden Jahren automatisiert zu werden. Das Davoser Weltwirtschaftsforum schätzte 2016 die Zahl der Arbeitsplätze, die in den 15 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern in den nächsten fünf Jahren durch die »vierte industrielle Revolution« wegfallen werden,
auf 5 Millionen.15 Besonders betroffen seien Frauenarbeitsplätze. Unternehmen wie Siemens, SAP, Telecom und die Großen im Silicon Valley schlossen sich diesen Prognosen an, wodurch die Diskussion um ein Bedingungsloses Grundeinkommen deutlich Fahrt aufnahm, weil sie von eher unerwarteter Seite verstärkt wurde.