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Kerstin Schilling

Insel der Glücklichen

Generation Westberlin

 

Man könnte meinen, über das Thema Ost–West sei schon alles gesagt. Doch meist betrifft die Reflexion die Verhältnisse und Veränderungen in den Neuen Ländern. Viel zu wenig geht der Blick in das alte West–Berlin und seine Insulaner, vor allem zu der Generation, die in einer scheinbaren Normalität mit der Mauer aufwuchs und vom Mauerfall mehr als überrascht wurde. Diese Zwischengeneration befindet sich in einer schwierigen Situation. Viele Verhaltens– und Denkweisen, die ihr in der Insel–Stadt noch selbstverständlich waren, erscheinen heute absurd und aus einer längst vergangenen Epoche des Kalten Krieges. Doch ist immer wieder festzustellen, dass sich die Verhaltensweisen der Mauerzeit offenbar mehr in den West–Berlinern festgesetzt haben, als sie zugeben wollen und können.
Das Buch zeigt die Schwächen der Bewohner und Bewohnerinnen des ehemaligen »freien« Berlins auf und deutet auf die Stellen, an denen es noch heute gnadenlos aufblitzt. Mit Selbstironie und Wärme wird eine Liebeserklärung an die sonderbare »Generation West« geschaffen. Von S–Bahn–Boykott bis Passierscheinstelle, von Pfingstfrühkonzert bis Magnetschwebebahn ist die Wiedererkennung garantiert.
Eine Serie von zwanzig Schwarz–Weiß–Fotografien des Fotografen Burkhard Peter zeigen ungewohnte Ansichten West–Berlins.

 

Presse

18.04.2004 | Berliner Abendblatt

"Mit Selbstironie und Wärme wird eine Liebeserklärung an die sonderbare »Generation West« geschaffen. Eigentlich spricht uns jeder der dreißig Hinweise an, die dieses Buch enthält."

 

Leseprobe

Über den Osten wollten wir nicht groß sprechen, denn dort saß der Feind, das war klar. Dieser schikanierte das arme West-Berlin mit Transitgebühren, Visumanträgen und Tieffliegern. Das gehörte zum Leben und wir nahmen es einfach hin. Eine ganz andere Spezies Feindbild respektive Störenfried kam aus der westlichen Richtung. Es waren die nicht in Berlin Geborenen, die in unsere Stadt zogen.
Da die Wirtschaft nach dem Mauerbau aus Berlin abwanderte, waren die Westdeutschen, die in unserem West-Berlin auftauchten, überwiegend Studierende und Bundeswehrflüchtlinge. Dazu kamen jene, die in Berlin die große weite Welt erwarteten, nachdem sie die dörfliche Einöde ihrer westdeutschen Heimat verlassen hatten. Unter anderen bildete sich so in Berlin auch die größte schwäbische Provinz außerhalb Schwabens – aber das ist eine andere Geschichte. Mit original Berlinern kamen die Westdeutschen meist nicht in Berührung. Die Zugezogenen wohnten zunächst in den Bezirken, in denen schon andere Zugereiste waren. In den Universitäten bildeten sich ebenfalls schnell Gruppen. Sie gingen gemeinsam aus und entdeckten neue Orte und vor allem eine neue Szene. Die echten West-Berliner blieben lieber unter sich. Warum auch sollten sie plötzlich ihre eingefahrenen und gewohnten Wege verlassen? Der Zeitplan war in unserer hektischen Großstadt eng gesteckt und ließ kaum Möglichkeiten, neue Menschen kennen zu lernen. Als Folge blieben beispielsweise an den Universitäten die echten West-Berliner einzeln zurück und schlossen sich dann als eigenständige West-Berliner Gruppe zusammen.
Auf diese Weise entstand der Eindruck, dass die eigentlichen Berliner Ureinwohner versteckt in Biotopen hausen mussten. Den Urberliner und die Urberlinerin lernte der Zugereiste nur in Person von Imbissverkäufern oder Busfahrern kennen. Menschen in ähnlichen Situationen, mit denen man das Leben teilt oder gar Freundschaft schließt, wurden erst Jahre später entdeckt.

Fadenheftung, Pappband,

15 x 16 cm,

144 Seiten,

mit 30 s/w Abbildungen,

ISBN: 3-936324-26-3

Preis: 19,80 €