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Jörg Aufenanger

Silbermanns Reise um die Welt in neunzig Jahren

Roman

 

Fast ein Tabu ist es, davon zu erzählen, dass ein von den Nationalsozialisten erzwungenes Exil auch eine glückliche Fügung bedeuten kann, dass nämlich eine junger Mensch erst durch die Erfahrung des Exils die Welt und sich selbst entdeckt. Doch es gibt Menschen, die nur durch die Vertreibung aus Deutschland zu einem glücklichen Leben gelangt sind. Einer von diesen heißt Alfred Silbermann, der heute unter dem Namen Moni in Rom stadtbekannt ist. Er lebt dort seit fast 50 Jahren und geht noch heute als 89 jähriger täglich zur Arbeit, in die Accademia Filarmonica, wo er als Impressario tätig ist.
Geboren im November 1905 in Berlin, ins Exil geflüchtet nach Paris, interniert in Frankreich, wie durch ein Wunder freigekommen, in Marseille auf ein Schiff gestiegen, das ihn über Beirut, Port Said, Djibouti, Indochina, nach Shanghai bringt, offene Stadt, wo man noch ohne gültigen Paß leben konnte, dann nach Kobe in Japan, von dort weiter mit dem Schiff nach Südamerika, durch den Panamakanal hindurch bis nach Buenos Aires, sicherer Hort bis zum Ende des Nationalsozialismus, Rückkehr nach Europa, aber nicht nach Deutschland, sondern 1956 nach Italien, erst Mailand dann Rom.
Alfred Silbermann gründet eine Kammeroper, wird Bühnenbildner und ein bedeutender Impressario, bis heute. Täglich verlässt er seine Wohnung im fünften Stock des Palazzo dei Pamphili am Corso und geht zu Fuß zur Arbeit in die Philharmonische Akademie von Rom, berät, unterstützt, vermittelt Künstler in alle Welt, besucht gelegentlich Berlin und seine Exilstadt Buenos Aires und Bosnien, wo er einen Jungen adoptiert hat, der ihn inzwischen zum Großvater gemacht hat. Silbermanns Reise ins Exil war also die eines Hans im Glück, denn die erzwungene Fremde hat ihn zu einem glücklichen Kosmopoliten gemacht.

 

Leseprobe

Berlin:
Als Alfred Silbermann 1915 in Berlin geboren wurde, schien sein Lebensweg frühzeitig vorgezeichnet zu sein. Auf Wunsch des Vaters wurde er Textilingenieur, besuchte fast heimlich die damals bekannte und bedeutende private Kunstschule Reimann in Wilmersdorf, deren Kunstbälle zu den Ereignissen dieser Berliner Jahre zählten. Der junge Alfred Silbermann spürte, hier konnte er seiner Berufung zum Künstler nachkommen und seinen Drang unter Künstlern zu leben verwirklichen.
Aber er blieb Textilingenieur und übte diesen Beruf bis 1936 aus. Dann zog er es als Sohn eines jüdischen Vaters vor, Deutschland mit diesem zu verlassen, ging nach Paris. Der Bruder wählte das sowjetische Exil und wurde dort ermordet. Die Mutter blieb in Deutschland, bis sie sich in die Schweiz absetzte.
Paris:
Er lebte mit seinem Vater wie viele Emigranten in einem kleinen Hotel nahe der Porte de Clichy. Dort lernte er Flüchtlinge vieler Länder kennen, spanische und deutsche Musiker, eine russische Tänzerin. Er tauchte ein in das kosmopolitische Künstlermilieu der Stadt an der Seine, die in den Jahren der Volksfrontregierung ein besonders lebhaftes kulturelles Leben besaß. Und er lernte einen italienischen Komponisten kennen, der auch geflohen war, vor Mussolini, und der sein weiteres Leben begleiten sollte. In Paris begann Silbermann als Bühnenbildner zu arbeiten, er traf auf die legendären Musiker und Theaterregisseure seiner Zeit.
Im September 1939 griff aber die politische Wirklichkeit erneut ein und machte dem bewegten Künstlerleben ein Ende. Als Deutscher wurde Alfred Silbermann, obwohl man ihm die Staatsbürgerschaft entzogen hatte, interniert, im Lager von Montargis. Statt Theater und Musik gab es jetzt harte körperliche Arbeit. Die Internierten wohnten in einer Scheune und einer ehemaligen Ziegelfabrik, mussten Weinfässer schleppen und reinigen. Eines Tages aber sagte der Lagerkommandant zu ihm: »Silbermann, packen Sie ihre Sachen. Sie fahren nach Marseille. Sie können ausreisen.«
Und so fuhr Silbermann mit einem alten französischen Soldat an seiner Seite mit dem Zug Richtung Marseille. In Nimes mussten sie des nachts umsteigen, bis zum Morgen auf den Zug nach Marseille warten. Und Silbermann zeigte dem französischen Soldaten die Arena von Nimes im Mondschein – er selbst hatte auch nur von ihr gelesen – bevor sie den Zug nahmen. Silbermann wusste nicht, was geschehen war, warum er das Lager verlassen konnte, andere jedoch nicht, von denen er nach Kriegsende erfahren sollte, dass sie in den KZ im Osten Europas umgekommen waren.
Nach sieben Tagen des Wartens gab ihn der Soldat an einem Schiff ab, das ihn aus Europa wegbringen würde. Am Quai stand sein italienischer Freund, der Komponist. Er hatte durch vielfache Intrigen und mit ungeheurer Findigkeit erreicht, dass der deutsche Jude nach Argentinien ausreisen konnte. Er selbst blieb zurück.
Shanghai, Kobe und einmal um die halbe Welt:
Um nach Buenos Aires zu gelangen, musste Silbermann erst einmal die halbe Welt umkreisen. Das Schiff führte ihn zusammen mit französischen Soldaten über Beirut, Port Said, Djibouti von Europa weg. Gerade musste er noch im Lager auf Stroh schlafen, nun hatte er eine Kabine erster Klasse, ein weiches Bett, vorzügliches Essen. In Djibouti verließen die Soldaten den Dampfer, der weiter nach Saigon fuhr und nach Shanghai, wo die Reise endete. Silbermann musste an Land, hatte aber als Staatenloser keinen Paß und kein Visum. »Ich bitte Sie, in Shanghai braucht man keine Pässe«, entgegnete ihm der Zollbeamte im Hafen der Stadt, in der er einige Monate bleiben musste, um auf sein Visum für Argentinien zu warten. In dieser internationalen Stadt lebten schon viele deutsche Juden, hatten sich eingerichtet. Silbermann lebte zuerst voen seinem restlichen Geld in einem Grandhotel. Schließlich fand er Unterschlupf im Haus eines aus Berlin emigrierten Arztes, hatte auch Arbeit gefunden, lebte ein Exilleben wie viel andere. Das Visum traf nicht ein, und schließlich erfuhr er, es liege auf der argentinischen Gesandtschaft im japanischen Kobe. Er verließ Shanghai, wo wenig später die Juden gezwungen wurden, in Ghettos zu leben. In Kobe musste er wiederum einige Wochen warten, lebte am Strand der Stadt. Als er das ersehnte Visum endlich in der Tasche hatte, bestieg er ein Schiff nach Buenos Aires.
Buenos Aires:
In der argentinischen Stadt wird er von seinem italienischen Freund schon erwartet. Ein weiteres Mal beginnt ein neues Leben. In Buenos Aires wird Alfred Silbermann fast 20 Jahre lang leben. Zuerst übt er wieder seinen Beruf als Textilingenieur aus, denn nur als solcher hat er ein Visum erhalten, um sich schließlich wieder mehr und mehr den Künsten zuzuwenden. Er arbeitet im Teatro Colon, das viele europäische Emigranten zu einem der bedeutenden Opernhäuser der Welt machen. Erst als Mitte der 50er Jahre der Aufstieg und Fall der Perons das Land instabil machen, das Bleiben erschwert wird und die künstlerischen Möglichkeiten eingeschränkt sind, wird Alfred Silbermann die Exilheimat verlassen.
Rom:
Alfred Silbermann kehrt nach Europa zurück, nicht aber nach Deutschland, an das ihn kaum etwas bindet. Berlin ist ihm ein Niemandsland geworden. Er geht nach Italien, lässt sich zuerst in Mailand nieder, gründet eine Kammeroper, für die er Bühnenbilder schafft und die er auf Tourneen in die halbe Welt führt, auch nach Deutschland, auch in seine Geburtsstadt Berlin, in die Akademie der Künste. Er sieht das Land wieder, aus dem er in die Welt vertrieben worden ist, bleiben will er nicht.
Ende der 60er Jahre lässt sich Alfred Silbermann in Rom nieder, wird Impressario und Berater der Philharmonie, berät und fördert die jungen Künstler der Stadt, die ihn dafür schätzen, Moni nennen sie ihn liebevoll, bis heute, und gelegentlich geht er mit ihnen tanzen, in die Technoszene Roms.

Fadenheftung, Hardcover mit Schutzumschlag,

12,5 x 20,5 cm,

248 Seiten,

ISBN: 3-86601-040-0

Preis: 19,80 €

 

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